In der Welt des kreativen Schreibens werden oft zwei gegensätzliche Lager beschrieben: Die "Plotter" und die "Discovery Writer". Während letztere – auch "Pantser" genannt, da sie "by the seat of their pants" (aus dem Bauch heraus) schreiben – ohne detaillierte Planung beginnen und ihre Geschichte im Schreibprozess entdecken, bevorzuge ich persönlich einen strukturierteren Ansatz. Für mich hat das Schreiben mit einer durchdachten Outline so viele Vorteile, dass ich diesem Ansatz treu bleibe, obwohl ich den kreativen Fluss des Discovery Writing durchaus zu schätzen weiß.
Die Diskussion zwischen Plottern und Discovery Writern ist so alt wie das Schreiben selbst. Von George R.R. Martin stammt das bekannte Bild, dass es "Gärtner" gibt, die ihre Geschichten organisch wachsen lassen, und "Architekten", die vor dem Bauen genaue Pläne zeichnen. Stephen King ist ein bekennender Discovery Writer, während J.K. Rowling für ihre ausführlichen Planungstabellen bekannt ist.
In diesem Spannungsfeld habe ich meinen eigenen Weg gefunden, der deutlich auf der Seite der Strukturierten liegt. Warum? Weil ich festgestellt habe, dass meine Kreativität in einem gut definierten Rahmen besser gedeiht. Für mich ist die Outline kein Korsett, sondern ein Gerüst, das mir Halt gibt und paradoxerweise mehr kreative Freiheit ermöglicht.
Alles beginnt mit dem Funken – jener initialen Idee, die mich nicht mehr loslässt. Im Gegensatz zu vielen Discovery Writern, die mit einem vagen Konzept beginnen und sehen, wohin es sie führt, habe ich meist schon zu Beginn eine klare Vorstellung davon, was meine Geschichte sein und aussagen soll.
Diese Initialzündung kann vielfältige Formen annehmen: Ein Charakter, dessen Stimme ich in meinem Kopf höre; ein Konflikt, der nach Auflösung schreit; eine Welt, die erkundet werden will; oder eine Frage, die mich umtreibt. Was auch immer es ist – ich nehme mir Zeit, diese Grundidee zu durchdenken, sie von allen Seiten zu betrachten und ihr Potenzial auszuloten.
In dieser Phase schreibe ich oft lose Notizen, skizziere Charaktere oder erstelle erste grobe Handlungslinien. Ich stelle mir fundamentale Fragen: Worum geht es wirklich in dieser Geschichte? Welche Themen möchte ich erforschen? Welche emotionale Reise soll der Leser erleben? Wie könnte das Ende aussehen?
Erst wenn ich auf diese Fragen befriedigende Antworten gefunden habe, gehe ich zum nächsten Schritt über. Diese Klarheit gibt mir die Gewissheit, dass meine Idee tatsächlich das Potenzial für eine vollständige Geschichte hat und nicht nach einigen Kapiteln im Sand verläuft.
Mit einer klaren Vorstellung der Grundidee beginne ich, eine strukturierte Synopsis zu entwickeln. Hierbei geht es darum, den Handlungsverlauf in groben Zügen festzuhalten und die wichtigsten Wendepunkte zu identifizieren.
Die Synopsis dient mir als erster Realitätscheck: Funktioniert die Geschichte in ihrer Gesamtheit? Gibt es einen sinnvollen Spannungsbogen? Sind die Charaktermotivationen schlüssig? Hat die Geschichte einen befriedigenden Abschluss?
In dieser Phase identifiziere ich auch potenzielle Schwachstellen und Probleme. Vielleicht fehlt ein wichtiger Wendepunkt, oder die Motivation eines Charakters erscheint nicht überzeugend. Diese Probleme lassen sich auf Synopsis-Ebene viel leichter beheben als später, wenn bereits hunderte Seiten geschrieben sind.
Die Synopsis bleibt dabei flexibel genug, um Raum für Entdeckungen zu lassen. Sie ist eher eine Landkarte als ein festgelegter Pfad – sie zeigt mir die wichtigsten Orte, die ich besuchen muss, aber nicht jeden einzelnen Schritt dazwischen.
Nun wird es spezifischer. Aus der Synopsis entwickle ich eine detaillierte Outline, die die gesamte Geschichte in klar definierte Akte unterteilt. Diese Aktstruktur – ob klassisch in drei Akten oder in einer komplexeren Form – bildet das Rückgrat meiner Geschichte.
In jedem Akt definiere ich die wichtigsten Schlüsselszenen und Wendepunkte. Ich achte darauf, dass die Handlung logisch voranschreitet und auf ein klares Ziel hinarbeitet. Die Outline sorgt dafür, dass die Spannungskurve stimmt, dass es einen nachvollziehbaren Aufbau von Konflikten gibt und dass die charakterliche Entwicklung meiner Protagonisten kohärent verläuft.
Besonders wichtig sind mir dabei die Übergänge zwischen den Akten. Diese Schwellenpunkte sind oft die dramatischsten und emotionalsten Momente einer Geschichte und verlangen besondere Aufmerksamkeit. In meiner Outline markiere ich diese Punkte deutlich und stelle sicher, dass sie sowohl emotional befriedigend als auch für den Handlungsverlauf notwendig sind.
Die Outline beantwortet für mich die wichtige Frage: Wohin genau will ich mit dieser Geschichte? Was ist der Höhepunkt, auf den alles zuläuft? Und wie bereite ich diesen Höhepunkt so vor, dass er die maximale emotionale Wirkung entfaltet?
Im letzten Schritt vor dem eigentlichen Schreiben breche ich die Outline in einzelne Kapitel herunter. Für jedes Kapitel erstelle ich "Scene Beats" – kurze Beschreibungen der einzelnen Szenen, die zusammen das Kapitel bilden.
Diese Scene Beats sind mein feinmaschiges Netz, das sicherstellt, dass jede Szene einen Zweck erfüllt. Jeder Beat sollte mindestens eine dieser Funktionen haben: die Handlung vorantreiben, Charakterentwicklung zeigen, wichtige Informationen vermitteln oder die Welt der Geschichte aufbauen.
Dabei achte ich besonders auf den Rhythmus. Nicht jede Szene kann und sollte hochdramatisch sein – es braucht auch ruhigere Momente für Charakterentwicklung, humorvolle Szenen zur Entspannung und reflektierende Passagen, die den tieferen Sinn der Geschichte unterstreichen.
Die Scene Beats geben mir auch die Möglichkeit, die "Mikrospannung" zu kontrollieren – jene kleinen Spannungsbögen, die den Leser von Seite zu Seite ziehen. Ich stelle sicher, dass jede Szene mit einer kleinen Frage oder einem ungelösten Problem endet, das den Leser neugierig auf die nächste Szene macht.
Dieser vierstufige Prozess mag zunächst arbeitsintensiv erscheinen, aber er bietet mir zahlreiche Vorteile:
Klarheit und Fokus: Ich weiß stets, woran ich arbeite und wohin die Reise geht. Die Geschichte kann nicht abkommen vom vorgesehenen Weg.
Effizienzgewinn: Obwohl die Planung Zeit kostet, spare ich letztendlich Zeit beim Schreiben und vor allem beim Überarbeiten. Strukturelle Probleme werden früh erkannt und behoben, bevor sie zu größeren Revisionen führen.
Überwindung von Schreibblockaden: Mit einer detaillierten Outline weiß ich immer, was als Nächstes kommt. Wenn ich an einer Stelle festsitze, kann ich zu einer anderen Szene springen und später zurückkehren.
Kontrolle über komplexe Handlungsstränge: Bei Geschichten mit mehreren Handlungssträngen oder einem großen Cast an Charakteren hilft mir die Outline, den Überblick zu behalten und sicherzustellen, dass alle Stränge sinnvoll miteinander verwoben sind.
Tiefere Thematische Arbeit: Durch die Vorplanung kann ich bewusster mit den Themen meiner Geschichte arbeiten und sicherstellen, dass sie durchgängig entwickelt und nicht aus den Augen verloren werden.
Trotz meiner Liebe zur Struktur bin ich kein roboterhafter Schreiber, der sklavisch einem Plan folgt. Die Outline ist für mich ein lebendiges Dokument, das sich im Laufe des Schreibprozesses verändern darf und soll.
Wenn mir beim Schreiben eine bessere Idee kommt als die ursprünglich geplante, oder wenn ein Charakter sich in eine unerwartete Richtung entwickelt, bin ich offen dafür. Der Unterschied zum reinen Discovery Writing besteht darin, dass ich diese Änderungen bewusst in meine Gesamtstruktur integriere und ihre Auswirkungen auf den Rest der Geschichte durchdenke.
Diese Balance zwischen Struktur und Entdeckung ist für mich der ideale Mittelweg. Die Struktur gibt mir Sicherheit und Richtung, während ich innerhalb dieses Rahmens die Freiheit habe, kreativ zu sein und neue Aspekte meiner Geschichte zu entdecken.
Natürlich bringt das Schreiben mit Outline auch Herausforderungen mit sich:
Die Gefahr der Überplanung: Manchmal verliere ich mich im Planen und komme nicht zum eigentlichen Schreiben. Dagegen hilft mir ein fester Zeitrahmen für die Planungsphase.
Verlust von Spontanität: Die detaillierte Planung kann die Freude am spontanen Entdecken neuer Ideen einschränken. Ich versuche daher, in meiner Outline bewusst Räume für Improvisation zu lassen.
Festhalten am Plan trotz besserer Ideen: Es kann verführerisch sein, am ursprünglichen Plan festzuhalten, auch wenn sich während des Schreibens bessere Möglichkeiten ergeben. Ich erinnere mich regelmäßig daran, dass die Outline ein Werkzeug ist, nicht mein Meister.
Mechanisches Schreiben: Bei zu detaillierter Planung kann das eigentliche Schreiben manchmal mechanisch wirken. Dagegen hilft mir, mich beim Schreiben voll auf die emotionale Ebene der Szene zu konzentrieren, nicht nur auf das Abhaken von Plotpunkten.
Letztendlich gibt es keinen "richtigen" Weg, eine Geschichte zu schreiben. Was für mich funktioniert, mag für andere einengend sein – und das ist vollkommen in Ordnung. Ich habe durch Erfahrung gelernt, dass mein Geist am besten in einem strukturierten Rahmen kreativ sein kann.
Die Outline ist für mich wie das Skelett einer Geschichte – unsichtbar im fertigen Werk, aber entscheidend für dessen Form und Funktionalität. Sie gibt mir die Freiheit, mich auf die Feinheiten des Schreibens zu konzentrieren – auf Sprache, Dialoge, Atmosphäre und emotionale Tiefe – ohne mich ständig fragen zu müssen, wohin die Geschichte als Nächstes geht.
Mit jedem Projekt verfeinere ich meinen Prozess weiter. Manchmal experimentiere ich mit detaillierteren Outlines, manchmal mit loseren. Ich lerne von anderen Autoren, probiere neue Strukturmodelle aus und passe meinen Ansatz an die jeweilige Geschichte an.
Was bleibt, ist die Überzeugung, dass für mich persönlich das Schreiben mit Outline der effektivste Weg ist, um Geschichten zu erzählen, die sowohl strukturell solide als auch emotional befriedigend sind. Es ist ein Ansatz, der Handwerk und Kunst verbindet – systematisch genug, um Fortschritt zu gewährleisten, aber flexibel genug, um der Magie des kreativen Prozesses Raum zu geben.
Ob Plotter oder Discovery Writer – am Ende zählt nur eines: die fertige Geschichte, die Leser in ihren Bann zieht. Der Weg dorthin ist so individuell wie die Geschichtenerzähler selbst. Meiner führt über strukturierte Planung – und ich genieße jeden Schritt auf diesem Weg.